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5 Zusammenfassung und politische Folgen des Hungerstreiks 1981
Vier der fünf Forderungen der Hungerstreikenden wurde einige Tage nach dem Ende der Aktion stattgegeben. Nordirlandminister Prior war jedoch nicht bereit, zuzugeben, daß Konzessionen erfüllt worden wären: „Now let me make it absolutely clear as I say a word about the Hunger Strike. No concessions have been made to the IRA and there will be, certainly, no perpetuation of anything that looks like concessions to those that commit violence.“ (O´Day, S.88)
Ab 1982 werden die Verhältnisse in Long Kesh als grundsätzlich anders als in den Jahren 1976-1981 beschrieben. Die Freizeitgestaltung der de facto politischen Gefangenen war eigenständig organisiert. Die paramilitärischen Strukturen in den republikanischen wie loyalistischen Flügeln wurden von den Sicherheitskräften des Gefängnisses, allerdings inoffiziell, anerkannt. Die Gefangenen durten ihre eigene Kleidung tragen und erhielten 50% des von ihnen geforderten Strafnachlasses. Die ‘mirror searches’ wurden entgültig abgeschafft (vgl. O`Day, S.88; Coogan 1, S.501).
Der Hungerstreik hatte allerdings noch weiterreichende politische Folgen. Der ehemalige amerikanische Botschafter in Irland, William B. Shannon, meint dazu: „Prime Minister Thatcher, by refusing any of the graceful compromises that were offered to her by the Irish Catholic Bishops and other intermediaries early in the strike, may be seen by history to have made a major strategic error. The hunger strike was the greatest political propaganda coup for the IRA in the last decade.“ (Coogan 1, S.504)
Auf der einen Seite gewann die republikanische Bewegung international große Sympathien und überzeugte große Teile der Öffentlichkeit davon, daß es sich bei ihnen nicht um Kriminelle und Terroristen handelte, sondern um politisch agierende Menschen; im Widerspruch zu der britischen Propaganda. Es zeigte sich, daß es sich bei dem bestehenden Konflikt nicht um einen konfessionellen handelte, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Establishment und antikolonialistischen Kräften.
Die Beziehungen der Regierungen in Dublin und London befanden sich auf einem neuen Tiefpunkt (vgl. Schulze-Marmeling/ Sotschek, S.137 f.), was sich noch zwei Jahre später auswirken sollte, als die irische Regierung sich nicht an den EG- Sanktionen während des Falkland- Krieges gegen Großbritanniens Kriegsgegner Argentinien beteiligen wollte.
Eine weitere wichtige politische Entwicklung fand in der Strategie Sinn Féins statt. Schulze- Marmeling und Sotschek führen auf S.138 f. folgendermaßen in dieses Thema ein: „Für die Provos wurde der Hungerstreik zu einer politischen Wasserscheide. Gerry Adams, der charismatische Wortführer der jungen, linken nordirischen Garde, schrieb zunächst an Sands: ‘Bobby, wir sind aus taktischen, strategischen, physischen und moralischen Gründen gegen einen Hungerstreik.’ Doch ohne diesen Hungerstreik und die damit verbundene Politisierung der republikanischen Bewegung wäre der Aufstieg der Linken wohl kaum in einem derartig rasanten Tempo vonstatten gegangen. Auch in dieser Hinsicht war sich die britische Regierung offenbar nicht bewußt, welche Prozesse sie mit ihrer intransigenten Haltung auslösen würde.“[87]
1982 entstand durch Nordirlandminister Prior ein Projekt, das als ‘rolling devolution’ bezeichnet wurde. Parallelen zum gescheiterten ‘Sunningdale Agreement’ waren mehrfach vorhanden. Dabei sollten schrittweise Kompetenzen an politische Kräfte in den 6 Grafschaften von London zurückgegeben werden[88]. Dies setzte allerdings das ‘Wohlverhalten’ der politischen Gruppierungen voraus.[89] Bei der dazugehörigen Wahl zur nordirischen Versammlung erreichte Sinn Féin 10,1%[90]. Sinn Féin boykottierte jedoch die Versammlung und übte erfolgreichen Druck auf die SDLP aus, es ebenfalls zu tun. Dadurch endete die ‘rolling devolution’ bereits am Anfang (vgl. Schulze- Marmeling/ Sotschek, S.141).
Im November 1983 übernahm Gerry Adams den Parteivorsitz Sinn Féins von Ruairi O´Bradaigh. Daithi O´Connell trat als Vizepräsident zurück.[91] 1986 verkündete Sinn Féin die Abkehr vom Abstentionismus in der Einnahme der in Wahlen gewonnenen Sitze.[92]
Da die südirische Regierung befürchtete, daß das Erstarken Sinn Féins auch auf den Süden Irlands Auswirkungen haben könnte, berief sie 1983/84 ein ‘New Ireland Forum’ ins Leben, in dem Vorschläge zur Konfliktlösung im Nordosten sowie eine Neugestaltung des Verhältnisses zwischen irischer Republik, ‘Nordirland’ und Großbritannien diskutiert werden sollten. Alle politischen Parteien der irischen Insel, bis auf Sinn Féin[93], waren eingeladen. Da alle unionistischen Parteien es jedoch ablehnten, den Konflikt im gesamtirischen Kontext zu diskutieren, blieben die südirischen konstitutionellen Parteien (Fianna Fáil, Fine Gael, Labour) sowie die SDLP unter sich. Sie erarbeiteten 3 Vorschläge für den künftigen Status der 6 Grafschaften: 1. Irischer Einheitsstaat; 2. Konföderativer Zusammenschluß beider Teile Irlands; 3. Gemeinsame Verwaltung der 6 Grafschaften durch London und Dublin. Thatchers Meinung dazu war eindeutig: „I have made it quite clear, and so did Mr Prior, when he was Secretary of State, that a unified Ireland was one thing that was out. A second solution was a confederation system: that was out. A third solution was joint authority: that is out.“ (Coogan 1, S.508) Offensichtlich überkam Thatcher Angst, daß Großbritannien seine Souveränität über die 6 Grafschaften verlieren würde. Ihr Ziel war weiterhin die Fortsetzung der ‘Ulsterization’- Politik.
Am 13. Oktober 1984 antwortete die IRA auf die Politik der Tories auf ihre Weise: Sie zündete eine 100- Pfund- Bombe in dem Hotel in Brighton, in dem der Parteitag der Konservativen stattfand. 4 Delegierte kamen ums Leben. Thatcher entging dem Anschlag knapp.[94]
1985 wurde von den Regierungen in London und Dublin, unabhängig vom ‘New Ireland Forum’, in Hillsborough das ‘Anglo- Irish Agreement’ unterzeichnet. Kernpunkte dieses Vertragswerks waren Konzessionen der Briten, die noch wenige Monate zuvor von Dublin und der SDLP abgelehnt worden waren. So wurde der Status der 6 Grafschaften ausdrücklich bestätigt, was heißt, daß eine Änderung des völkerrechtlichen Status ‘Nordirlands’ die mehrheitliche Zustimmung der dortigen Bevölkerung benötigt (=loyalistisches Vetorecht). Damit verstieß die Republik Irland gegen ihre Verfassung, die bis 1999 Anspruch auf die 6 Grafschaften erhob. Dublin erhielt lediglich das Recht, eigene Vorschläge zu Fragen der 6 Grafschaften zu unterbrieten, die aber nicht angenommen werden mußten. Der Kampf gegen den ‘Terrorismus’ sollte ausgeweitet werden, repressive Gesetze im Süden wurden denen im Norden angeglichen. Erneut wurde ein Devolutionsprozeß angestrebt, den politischen Kräften in den 6 Grafschaften schrittweise Kompetenzen zurückzugeben.
Der Hauptpunkt des Dokuments ist jedoch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der Republik Irland. Dadurch sollte der IRA das Rückzugsgebiet an beiden Seiten der inneririschen Grenze abgeschnitten werden. So arbeiteten die Sicherheitskräfte eng miteinander zusammen und führten gemeinsam ‘antiterroristische’ Aktionen durch. Die Republik Irland erklärte sich ebenso dazu bereit, gefangene republikanische Gefangene an Großbritannien auszuliefern, was sie vorher ablehnte, wenn der/ die ‘StraftäterIn’ politische Motive für sein/ ihr Handeln geltend machen konnte. Die politischen und sozialen Reformen in den 6 Grafschaften, die London versprochen hatte, blieben jedoch aus.
Die IRA stellte sich derweil auf eine langanhaltende Kampagne ein, die zeigen sollte, daß sie nicht zu schlagen war (vgl. v.a. Coogan 1, S.502 ff.; Schulze- Marmeling/ Sotschek, S.143 ff.). Tim Pat Coogan stellt am Ende seines Kapitels über die Folgen des Hungerstreiks die These auf: „Things would have been different, had Mrs Thatcher allowed Bobby Sands the right to wear his own clothes while he was a prisoner in Long Kesh jail.“ (Coogan 1, S. 512)
Gesamt gesehen ist der Hungerstreik gleichzeitig als eine Wende in der politischen Strategie der republikanischen Bewegung zu sehen wie auch als eine Art der Konsolidierung der neueren sozialistischen Einflüsse um Adams, McGuinness u.a., was sich in der intensiven Behandlung des Hungerstreiks in Medien (z.B. zum 20. Jahrestag im Jahr 2001), Wandbildern oder eben Liedern niederschlägt.
Erstaunlich ist allerdings, daß seit des ‘Good- Friday Agreements’ 1997 Sinn Féin Positionen zu vertreten scheint, die sie während des ‘Anglo- Irish Agreement’ vehement ablehnten, z.B. den Volksentscheid, der zur Änderung des Status der 6 Grafschaften notwendig wäre wie auch die Beteiligung an einer Regionalregierung (die im Widerspruch steht zu der Theorie des künstlichen, gescheiterten politischen Gebildes ‘Nordirlands’) oder auch der Waffenstillstand der IRA mit der Option der Waffenabgabe (die noch nicht ansatzweise vollzogen wurde).
Sinn Féin hat sich seit Anfang der 80er Jahre zu einer bedeutenden politischen Partei in den 6 Grafschaften entwickelt. Seit einigen Jahren steigen auch in der Republik Irland die positiven Wahlergebnisse Sinn Féins. Peter Taylor erklärt die Entwicklung Sinn Féins: „The Hunger Strike is a watershed in the history of the Republican Movement. Although the deaths of ten men made it clear to the British Government that the IRA was determined to see its ‘struggle’ through to the end, the main point lies in the election of Bobby Sands and Owen Carron to Westminster. Their victories laid the foundation for the political base that Gerry Adams knew had to be built if the ‘struggle’ were to progress. Sinn Féin´s electoral success through the next two decades are the hunger strike´s political legacy.“ (Taylor, S.252)
[87] Unter der „Politisierung der republikanischen Bewegung“ ist hier wohl der politische Aufstieg der Bewegung gemeint.
Anzeichen für einen Aufstieg der Linken gab es allerdings schon vor 1981, denn marxistische/sozialistische Schulungen existierten z.B. in den Gefängnissen schon einige Jahre. Die Führung Sinn Féins/der IRA fühlte sich jedoch die 70er Jahre hindurch noch einem traditionell- nationalistischen Kurs verpflichtet.
[88] Dabei beabsichtigte London, die Exekutive grundsätzlich in eigenen Händen zu behalten.
[89] Offensichtlich beabsichtigte die britische Regierung damit eine Stärkung des moderat- unionistischen Lagers sowie der SDLP (vgl. Schulze-Marmeling/ Sotschek, S.141).
[90] Es war die erste Wahlbeteiligung Sinn Féins in den 6 Grafschaften überhaupt und ein Kennzeichen für die Durchführung der ‘ballot and bullet’- Strategie, die Danny Morrison auf dem Parteitag 1981 propagiert hatte (s.o.).
[91] O´Bradaigh und O´Connell stammen aus der Republik Irland und werden dem traditionell- nationalistischen Flügel zugerechnet.
[92] Ruairi O´Bradaigh gründete mit Daithi O´Connell 1986 die traditionalistische Republican Sinn Féin (RSF), die das Abstentionismus- Prinzip weiterhin für sinnvoll hält (vgl. Coogan 1, S.504) und heute hauptsächlich in der irischen Republik ihre Anhängerschaft besitzt. (vgl. Anhang: ‘Die Entwicklung der IRA’)
[93] Sinn Féin wurde nicht eingeladen, weil sie Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele befürwortete.
Die loyalistischen Parteien, die Beziehungen zu paramilitärischen Gruppierungen unterhalten, durften jedoch teilnehmen.
[94] Das Statement der IRA dazu lautete wie folgt: „Die IRA trägt die Verantwortung für die Zündung der 100- Pfund- Bombe in Brighton gegen das britische Kabinett und die Tory- Kriegstreiber. Frau Thatcher wird nun erkennen, daß Großbritannien nicht damit durchkommt, unser Land zu besetzen, unsere Gefangenen zu foltern und unser Volk in seinen eigenen Straßen zu erschießen. Heute hatten wir kein Glück, aber denkt daran: Wir müssen nur einmal Glück haben- Ihr müßt immer Glück haben. Gebt Irland Frieden und es gibt keinen Krieg mehr.“ (Schulze- Marmeling/ Sotschek, S.147)
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